Dienstag, 14. August 2012

Deixis im Comic Teil 3: Deixis und Fazit

von Christoph Scholz

Beim vorliegenden Artikel handelt es sich um den ersten Teil der Schriftlichen Hausarbeit im Rahmen der Ersten Staatsprüfung, unter Begutachtung von Frau Prof. Dr. Bredel, vorgelegt von Christoph Scholz am 17.12.2008 an der Universität Köln.
Im Laufe der nächsten Wochen wird die Arbeit komplett erscheinen.

Teil I finden Sie hier, Teil II hier.

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5. Deixis im Comic
Nach Bredel (2001, S.18) ist die Deixis von besonderer Bedeutung bei der Transformation von Comics in andere Textformen. So beschreibt sie Verbalisierungen von Schülern und Schülerinnen nach der Aufforderung, Bildergeschichten nachzuerzählen. Hierbei wurde vor allem auf die demonstratio ad oculos, die Deixis am Nichtzeichenraum, zurückgegriffen. Der Schüler Dieter verwendete z.B. das sog. Lokalisierungs-da, um die Gegenstände des sprachlichen Handelns als Wahrnehmungsobjekte zu verankern (Bredel (2001), S.15). Es kann daher gefolgert werden, dass die Darstellungsform des Comics die Verwendung der Deixis in sich verankert hat und sie begünstigt. Die Deixis findet aber auch als Mittel der Erzählung innerhalb des Comics statt. Sie kann unter anderem dazu verwendet werden, die Aufmerksamkeit des Rezipienten auf bestimmte Objekte oder Figuren zu lenken. In Kapitel 3 wurde außerdem die Bedeutung der Deixis für die Kohäsion und die Kohärenz in Texten beschrieben. Beides beschreibt die Leistung, verschiedene Textteile miteinander zu verbinden. In Bezug auf Comic-Texte werden sie in unterschiedlicher Art erfüllt.

5.1 Kohäsion im Comic durch Deixis
Die kohäsive Leistungen der Deixis wurden bereits auf die Textdeixis und die Textphorik begrenzt. Durch sie kann man auf bestimmte Textstellen zeigen oder Koreferenzen angeben. Es ist jedoch fraglich, ob der Verweis auf die Besitzurkunde in der Abbildung 27 der Textdeixis entspricht.
 Abbildung 27 (Guerrini (2003), S.91)
Mit dem Wort ‚dies’ zeige man zwar auf die spezifische Stelle im Comic-Text, die die Urkunde repräsentiert, jedoch wird durch die Sprechblase einen Dialogtext vermittelt. Der Figur Dagobert Duck wird so eine Origo in der Erzählung zugewiesen, von der sie auf andere Personen, Orte oder Zeiten zeigen kann. Dagobert weise dann nicht auf eine Textstelle, sondern auf ein Wahrnehmungsobjekt von ihm. Der Erzählertext in der Abbildung 28 kann ebenso interpretiert werden. Das Wort ‚diese’ zeigt dann direkt auf die Uferbrücke oder die Abbildung.

Abbildung 28 (Morvan/ Munuera (2007), S.23)
 
Das Einzelbild kann jedoch auch zu einem Teil der Äußerung gezählt werden. In dem Kapitel 4.5 wurde schon geäußert, dass z.B. die Auswahl des Bildausschnitts durch einen fiktiven Erzähler S2 getätigt werde. Es ist also das Antezedens. Demnach zeige der Erzähler in diesem Beispiel deiktisch auf eine Stelle in seiner Äußerung. Dies wäre dem kataphorisch gebrauchten ‚so’ ähnlich, das z.B. auf eine Handgeste weist (Fricke (2007), S.77). Die Voraussetzung ist aber, dass dieser Erzähler mit dem Erzähler in dem Erzählertext identisch ist. Ansonsten müsste ein Bild- und ein Text-Erzähler angenommen werden. Da hier nur eine Beziehung zwischen dem Einzelbild und dem Erzählertext hergestellt wird, soll dies vernachlässigt werden. Die Kohäsion soll jedoch als Beziehung zwischen Einzelbildern aufgefasst werden, weil der Comic durch eine Sequenz gekennzeichnet wird. Die Textdeixis und Textphorik können so Sätze und Satzteile innerhalb von Dialog- und Erzählertexten verbinden, die über mehrere Panels verteilt sind. Dies verbindet vor allem ein Panel, das ein paralleles Verhältnis von Schrift und Bild aufweist, mit einem anderen. Die Einzelbilder werden dadurch wesentlich enger  miteinander verbunden als durch die Rekurrenz, also die Wiederaufnahme von bildlichen Einheiten. So wird die die Abbildung 8 oder die Reihung von Bildern Marilyn Monroes durch Andy Warhol nur bedingt als Comic erfahren.
Die Abbildung 29 zeigt eine Besonderheit der kohäsiven Verwendung der Deixis im Comic. Hier ist es möglich, Deiktika in ambivalenter Weise zu verwenden. Lady Snowblood hat dem Anführer Matsuemon eine Liste mit drei Personen gegeben, die sie finden möchte. Daher will er wissen, welche Bedeutung diese Personen für sie habe. Der Panel stellt den Moment der Antwort auf die Frage dar. Das Wort ‚jene’ zeigt daher im Rahmen der Textdeixis auf eine vorherige Textstelle. Das Deiktikon kann jedoch auch auf die drei Köpfe im Hintergrund zeigen.

Abbildung 29 (Koike/ Kamimura (2006), S.303)
Auch die Textphorik kann in einem Comic nicht eindeutig sein. Das Wort ‚ihm’ referiert z.B. in der Abbildung 30 sowohl auf die Figur Hollis, die vorher genannt wurde, als auch auf Dr. Manhattan in dem zweiten Panel. Durch die Fortführung des Dialogtextes und die thematische Ähnlichkeit von Bild und Text stehen die beiden Panels in einem engen Zusammenhang.

Abbildung 30 (Moore/ Gibbons (2008), S.83)
  
5.2 Kohärenz im Comic durch Deixis
In dem Kapitel 3.2 wurde die Bedeutung der Deixis für die Kohärenz in Texten beschrieben. Hierbei nimmt die Origo als koordinierende Instanz, wie sie in der Abbildung 5 beschrieben wird, eine Möglichkeit der Verbindung von Textteilen dar. Von ihr aus wird eine gemeinsame Situation rekonstruierbar, in der Objekten und Personen verschiedene Funktionen und Rollen entsprechend der koordinierende Perspektive zugeschrieben werden. Im Comic kann sie unter anderem von den sprechenden Figuren übernommen werden. So wird, wie bereits beschrieben, den Figuren durch die Sprechblase eine Origo zugewiesen. Dementsprechend kann in der Abbildung 27 davon ausgegangen werden, dass Dagobert Duck innerhalb eines Zeichenraums auf ein anderes Objekt deutet. Der Zeichenraum umfasst dabei die dargestellten Figuren und Örtlichkeiten. Die Deiktika im Dialogtext zeigen hier also auf Personen, Räume oder Zeiten, die in einem Verhältnis zu dem Ursprung der Sprechblase stehen. Dadurch entspricht der Comic dem szenischen Darstellen. Es ist jedoch nicht immer möglich, diesen Ursprung in einem Panel eindeutig zu identifizieren. Der Sprechort muss z.B., wie in Abbildung 31, nicht in jedem Panel durch eine Spitze angegeben werden. Die Konstanz der Person als Produkt der  Abduktion und die Verbindungen der Sprechblasen über mehrere Panels hinweg weisen jedoch in ausreichender Weise auf den Sprecher in dem zweiten Panel.

Abbildung 31 (Bendis/ Andreyko (2003), S.13)
In vielen Fällen ist der Sprecher oder das Deixisobjekt nicht zusammen in einem Einzelbild zu sehen. Das Personaldeiktikon ‚Sie’ im zweiten Panel der Abbildung 32 muss der Leser deshalb selbstständig mit der Kommunikationspartnerin im dritten Panel in Verbindung setzen, um eine sinnvolle Sequenz zu ermöglichen. Dies gelingt jedoch nur, wenn die Figuren der Sequenz einem gemeinsamen Zeitpunkt und Ort zugeordnet werden. Die origoexklusiven Deiktika öffnen die Panels und weisen in solchen Situationen darauf hin, dass es einen Übergang von ‚Gegenstand zu Gegenstand’ innerhalb einer Szene gibt. Dies lässt sich auch in der Abbildung 12 erkennen.
Abbildung 32 (Adams (2005), S.144)

Der Kommunikationspartner in der Abbildung 33 bleibt dagegen unsichtbar im off stage, von dem er auf den Schauplatz wirkt (Pfister (2001), S.341). Somit wird der Übergang ‚von Handlung zu Handlung’ ermöglicht, wodurch die Aufmerksamkeit auf der Figur von Calvin bleibt. Die Grenzen des Mediums, des Habitus und des Hiatus werden also durch die Deixis aufgebrochen. Der Leser wird als Beobachter in einer Szene gesteuert und befindet sich so in einem vorgestellten Raum.

Abbildung 33 (Watterson (1991), S.125)

Daher liegt eine Versetzung mit einer verschobenen Origo entsprechend der Abbildung 2 vor. Unter Umständen wird der Leser aber direkt in das Geschehen involviert. In der Abbildung 19 wird der Raum durch implizite Deixis auf die Realität ausgeweitet, indem McCloud als Comicfigur zu den Lesern spricht. Hier wird nach dem ersten Fall der Deixis am Phantasma (Bühler (1999), S.134) die situationsbedingte Übereinstimmung der Perspektive von Leser und Autor gewährleistet. Außerdem können die Figuren selber eine Erzählung in den Comic-Text einbetten. Hierbei verwenden sie wie reale Personen das Präteritum als Mittel der Origo-Versetzung in einen vorgestellten Raum. Dies kann zusätzlich auf der bildlichen Ebene ausgedrückt werden.

Abbildung 34 (Guerrini (2003), S.94)


In der Abbildung 34 wird die Erzählung von Dagobert Duck durch die Form der Randlinie von den anderen Panels getrennt. Dadurch werden Teile des Comics miteinander verbunden, ohne dass direkt auf sie gezeigt werden muss. Die Koreferenz von ‚die Bergruine’ im ersten und ‚sie’ im zweiten Panel verstärkt den Zusammenhang.



6. Fazit
Comics als eine spezifische Textform werden durch die Einzelbilder und die Sequenz der Einzelbilder beschrieben. Die Sequenz ist hierbei durch bestimmte Beziehungen der Panels gekennzeichnet und obwohl die Schriftsprache nur eine sekundäre Bedeutung hätte, kann auch sie diese Beziehungen erzeugen. In diesem Rahmen hat die Deixis eine wichtige Rolle. So können Textdeixis und Textphorik in spezifischen Situationen einzelne Panels durch Dialog- und Erzählertexte miteinander verbinden. Der Ort der Schrift bestimmt die sinnvolle Reihung von sehr unterschiedlichen Einheiten. Dadurch ermöglicht man den leichteren Rückschluss auf den Typ des Überganges. Kohärenz kann durch die Öffnung des Rahmens konstruiert werden. Das Einzelbild stellt hierbei nur einen Teil der Bühne des Geschehens dar, die durch einen Prozess der Schlussfolgerung aus mehreren Panels konstruiert wird. Origoexklusive Deiktika deuten die Öffnung an und erleichtern so die Synthese in der Sequenz. Dies ähnelt der Konstruktion von Orten in ausschließlich mündlichen und schriftlichen Texten, in denen Einzelinformationen auch durch einen Vorstellungsraum zusammengefasst werden können. Im Comic können origoexklusive Deiktika so als Indiz für den Übergang ‚von Gegenstand zu Gegenstand’ dienen. Es kann auch in den physischen Raum gedeutet werden. Hierbei liegt jedoch keine Versetzung der Origo vor.
Die Abbildungen 29 und 30 zeigen außerdem, dass die Deixis im Comic durch die Ebene der Bilder und die Ebene der Schrift zu unterschiedlichen Effekten führen kann. Deiktika können so auf unterschiedliche Objekte zeigen. Diese Besonderheiten verknüpfen das Comic mit dem Fernsehen, in dem ähnliche Verschiebungen der Ebenen vorkommen können. Es lässt sich so nicht unvoreingenommen mit anderen schriftlichen Texten der Kinder- und Jugendliteratur in Beziehung setzen. Daher kann es bedeutsam sein, Comics in der Schule stärker zu berücksichtigen, um die Textkompetenz zu fördern.
Im weiteren Verlauf der sprachwissenschaftlichen und pädagogischen Betrachtung von Comics könnte die Rolle der Erzähler genauer beschrieben werden. So wurde im Kapitel 5.1 die Schwierigkeiten der Erzählerposition angedeutet. Außerdem sollten die verschiedenen Übergänge mit ihren bildlichen und sprachlichen Hinweisen genauer betrachten werden. Schwierigkeiten der Kohärenz und Kohäsion würden so für Schüler mit unterschiedlichen Kompetenzniveaus leichter zu erarbeiten sein. Dies kann Aufgaben mit Bilderreihen stärker an die Fähigkeiten von Kindern und Jugendlichen anpassen.

[Ende der Serie]

Teil I finden Sie hier, Teil II  hier.



Literaturverzeichnis

Das vollständige Literaturverzeichnis finden Sie unter Teil 1 dieser Arbeit: Link



Latest Version: 14-08-2012, 14:15

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