Donnerstag, 21. Juni 2012

Montage I

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Montage I:
Montagetechniken im Comic als ästhetisches Gestaltungsprinzip
Ein Anriss
I. Einleitung
In seinem Aufsatz „Fumetti – Der Comic schwebt zwischen den Extremen“[1] geht Andreas Platthaus auf die Besonderheiten des Medium „Comics“ in ihrem ästhetischen Gestaltungsprinzip ein. Dabei legt er seinen Fokus auf drei französische Comic-Bände, die über eine spezielle Montagetechnik eine ganz eigene Ästhetik entfalten und versucht an ihnen exemplarisch die Eigenarten des Mediums in seiner Gestaltungsfreiheit herauszuarbeiten. Dieser Erklärungsgang soll im Folgenden kurz skizziert werden. Anschließend wird noch auf eine weitere Montagetechnik, die Platthaus nicht thematisiert, eingegangen, welche an dieser Stelle mangels eines Fachtermini „Bild-Objekt-Montage“ genannt werden soll.

II. Montage im Comic
Der Comic als graphisches Medium ermöglicht sicher viele Gestaltungstechniken auf Montagebasis. Das kann mitunter soweit gehen, dass eine einzelne Seite kaum noch als klassische Comicseite wahrnehmbar ist. „Klassisch“ meint hier eine Aufteilung in sog. panels (Einzelbilder), die eine Handlung beschreiben[2].
Fakultativ kann dies durch Sprechblasen, Textboxen, onomatopoetische Effekte (‚Soundwords’) oder In-Bild-Schrift geschehen – ein Beispiel für letzteres zeigt Abb 1. Die Holzbretter hinter der Hauptfigur bilden den Namen eben jener Hauptfigur: „Spirit“.
Abd. 1: Darwin Cooke, "The Spirit" (2007), Cover. (c) DC Comics
Damit ist klar, dass eine Comicseite an sich schon zu einem gewissen Grad eine Montage ist: Nämlich in der Anordnung der einzelnen Bilder auf der Seite. Neben einer klassischen, klar erkennbaren Panel-Struktur (s. bspw. Abb. 3) gab es immer wieder experimentelle Seitenaufteilungen, teils mit hohem Fließtextgehalt, die die klassische Definition einer Comicseite zu sprengen drohen – aber die Montagetechnik weiter vorantrieben. Ein Beispiel für so eine Montageseite in einem Comic ist dem Comic „Arkham Asylum“ von Morrison/McKean entnommen (Abb. 2). Eine solche Montage wäre zwar auch in der Malerei denkbar, jedoch erfüllt diese Seite neben dem rein darstellenden Zweck auch einen narrativen: Die Geschichte (der sog. plot) wird auf jeder Seite des Comics vorangetrieben[3]
Abd.2: Morrison/McKean, Arkham Asylum: A Serious House on Serious Earth (1989), 135-136.
 
 
III. Montagetechniken im Comic 1: Bild-Text-Montage
Natürlich kennt auch die Literatur eine lange Tradition der Montagetechniken, aber die
Bild-Text-Montage, wie sie Platthaus anhand drei ausgewählter französischer Comicbände
schildert, ist wohl nur im Medium Comic möglich[4]:
Bei diesen drei Bänden handelt es sich zum ersten um Journal d’un album von Dupuy & Berberian, zum zweiten um Journal von Fabrice Neaud und schließlich um Journal du journal du journal von Lewis Trondheim. Das Besondere an diesen drei Werken ist, dass Neaud in Journal schildert, wie er selbst bzw. sein gezeichnetes Alter Ego das erstgenannte Journal d’un album liest und kommentiert – in einem Comic wird sich also mit einem anderen Comic auseinander gesetzt[5]. Trondheim nun geht noch einen Schritt weiter und schildert in Journal du journal du journal, wie er seinerseits Neauds Journal liest, der seinerseits wiederum Dupuy & Berberian liest. Bereits im Titel „Journal du journal du journal“ ist dieser Dreiklang zu finden und setzt sich auch in der Typographie auf dem Deckblatt fort[6]. Dies sind alles noch technische Spielereien, die das Medium nicht allein hat. Das Besondere findet sich erst auf den letzten Seiten des Trondheim-Comics: 
Abd. 3: Lewis Trondheim, Journal du Journal du Journal (Datum unbek.), 148.

Dort zeichnet sich Trondheim selbst (als vogelgesichtiges Alter Ego), wie er die Lektüre Neauds beendet (der ja seinerseits über die Lektüre bei Dupuy & Berberian berichtete), voll Inspiration durch den Comic in sein Atelier rennt und genau die Seite zeichnet, die der Leser gerade liest um dann „das letzte leere Bild damit zu füllen, dass er vollkommen ratlos vor eben diesem letzten leeren Bild sitzt“[7] (Abb. 2).
Damit hat Trondheim diese Erzählform „auf die Spitze getrieben“[8] – und das Medium neu ausgelotet. „Die Lektüre […] ist eine vierfache geworden“[9] (Trondheim liest Trondheim, der Neaud liest, der Dupuy & Berberian liest) bzw., als der Comic-Trondheim auch noch seine Frau als Leserin ins Spiel bringt, sogar eine fünffache[10]. Ja, der reale Leser des Journal du journal du journal ist gewissermaßen sogar die sechste Rezeptionsebene vom ursprünglichen Journal d’un album. Der Gipfel dieses Spiels mit dem Medium ist nun, dass der echte Trondheim bereits einen Auftritt in Dupuy & Berberians Journal d’un album – als Kritiker ihrer Idee[11].
Eine solche komplexe Zitat- und Montageapparatur stellt Trondheim gipfelnd auf nur einer einzigen Seite dar – und wo diese theoretische Erklärung eine ganze Textseite braucht, um den Phänomen der Trondheimschen Montage auf den Grund zu gehen, ist dieses Zitatwerk auf der eigentlichen Comicseite gleich klar. Damit sieht man also, mit welchen einfachen Mitteln das Medium Comic eine komplexe Verschachtelung schaffen und zugleich in ihrer Komplexität auf wenige bildliche und sprachliche Zeichen reduziert (Trondheims Comic umfasst gerade einmal drei Seiten).

Montagetechniken im Comic 2: Bild-Objekt -Montage
Eine weitere Möglichkeit der ästhetischen Gestaltung ist das Montieren von einzelnen Objekten zu einem größeren Objekt innerhalb der sequenziellen Erzählstruktur. Dafür sollen an dieser Stelle zwei Beispiele mit einem ähnlichen End-Objekt genannt werden, einem Totenkopf.
Abd. 4: Buckler/Wood, Creepy #75 (1975), o.O.

Abb. 4 zeigt eine Seite aus der Geschichte „Snow“, erschienen im Rahmen der Horror-Comicserie „Creepy“, illustriert von Wally Wood. Dabei bilden Panel-Grenzen und einzelne Objekte wie etwa er Hinterkopf des Protagonisten den Totenkopf. Text und Bild interagieren hier auf besondere Weise, da der Protagonist in Lebensgefahr schwebt und sich die moralische Frage stellt, ob er einen Jungen um seinetwillen opfern kann. Während die ruhige, sitzende Körperhaltung der Figur und der helle Seitenhintergrund diese Gefahr noch nicht ausdrücken, steht der Totenkopf symbolisch für diese Gefährdung. Die Frage nach dem Überleben scheint beantwortet. Auf einer zweiten Metaebene beantwortet der Totenkopf auch die moralische Frage der Figur, ob er den Jungen opfern kann oder gar selber zum Kannibalen werden könne, angesichts des Hungers in diesem apokalyptischen Setting: Verdammnis ist vorprogrammiert. Bemerkenswert dabei ist, dass in drei der vier Bilder, in die der Totenkopf die Seite unterteilt, ein zeitlicher Vorgang zu beobachten ist: Der Junge schläft am Lagerfeuer langsam ein. Damit scheint sein Schicksal besiegelt. Das Wort „Cannibalism“ ist zentral unter dem „Mund“ des Totenkopfes arrangiert, was symbolisch den Gedankengang des Mannes noch einmal zum Ausdruck bringt.

Noch etwas künstlerischer hat diese Bild-Objekt-Montage der Comiczeichner Neal Adams weiterentwickelt: In einer Ausgabe der „Strange Adventures“ (Abb. 5) bilden diverse Objekte das Gesicht des Protagonisten „Deadman“ (sein Gesicht ist ein Totenkopf), der selber auf der Seite interagiert und offensichtlich einen zeitlichen Fortschritt durchlebt – die sequentielle Handlung ist also gegeben.
Abd. 5: Adams, Strange Adventures #215 (1968), o.O.
Die Seite ist dabei sehr komplex gestaltet. Dass das große „Deadman“-Gesicht eigentlich nur eine Montage aus anderen Objekten ist, fällt erst bei genauerem Hinsehen auf. Bei einer Detailbetrachtung der Einzelteile fällt dann sogar auf, dass eines der Objekte, die den Schädel bilden, Deadman selbst ist (Abb. 5, Panel 3). Auf dem letzten Panel (Abb. 5, Panel 6) dann scheint Deadman sein eigenes, überdimensionales Gesicht anzustarren – welches aber nie zu einem einzigen Zeitpunkt existiert hat, eben da die Seite einen chronologischen Ereignisverlauf zeigt, Panel 1 also zeitlich vor Panel 6 spielt. Hier wird also eine reflexive Selbsterkenntnis des Deadman auf einer einzigen Comicseite – ohne derartige Worte zu benutzen – dargestellt und gleichzeitig eine Handlung erzählt. So etwas ist wohl nur im Medium Comic dergestalt möglich.


IV. Fazit
Die gezeigten Beispiele deuten die exklusiven Möglichkeiten des Medium Comics an, ohne erschöpfend zu sein. In seiner ästhetischen Gestaltungsweise ist das Comic recht frei, da auf der Ebene des Textes, des Bildes und in der Interaktion dieser beiden Elemente gearbeitet werden kann. Über Jahrzehnte der Comichistorie wurde das Medium durch Künstler wie McKean, Trondheim, Wood oder Adams (und sehr viele mehr) um immer mehr Möglichkeiten bereichert. Da es zudem als einziges Medium Text und Bild dermaßen verwebt, stehen ihm auch die Möglichkeiten etwa aus der Literatur[12], der Malerei und auch des Filmes wenn auch nicht zur Gänze, so doch in großem Maße zur Verfügung. Das Comic ist daher als sehr reiches Medium in seinen ästhetischen Entfaltungsmöglichkeiten zu betrachten.
 

Literaturverzeichnis
  • Platthaus, Andreas, Fumetti – Der Comic schwebt zwischen den Extremen in: Kaspar Maase (Hg.), Die Schönheiten des Populären, Frankfurt 2008, 133-156.
  • McCloud, Scott, Understanding Comics, New York 2000.



Abbildungsverzeichnis
  1.  Cooke, Darwyn, The Spirit #1. DC Comics New York 2007, Titelblatt.
  2.  Morrison, Grant u. McKean, David, Arkham Asylum: A Serious House on Serious Earth. DC Comics New York 1989, 135-136.
  3.  Trondheim, Lewis, Journal du journal du journal aus: Kaspar Maase (Hg.), Die Schönheiten des Populären, Frankfurt 2008, 148.
  4. Buckler, Rich u. Wood, Wally, Snow in: Creepy #75, Warren Magazine, o.O. 1975.
  5. Adams, Neal, Strange Adventures #215. Marvel Comics 1968.

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Fußnoten

[1] erschienen in Maase (2008)
[2] Die Definitionen, was ein Comic eigentlich ist, sind uneinheitlich. Hier wird der erweiterten Definition von McCloud (2000, S.9) gefolgt. Demnach sind Comics zu räumlichen Sequenzen angeordneten, bildliche (oder andere) Zeichen, die Informationen vermitteln und/oder eine ästhetische Wirkung bei den Rezipienten erzeugen.
[3] vgl. auch Platthaus (2008, S.139)
[4] Platthaus (2008, S.145ff.)
[5] Platthaus (2008, S.146)
[6] Platthaus (2008, S.148)
[7] Platthaus (2008, S.151)
[8] Platthaus (2008, S.151)
[9] Platthaus (2008, S.150)
[10] Platthaus (2008, S.150)
[11] Platthaus (2008, S.148)
[12] Der Comic Watchmen von Alan Moore und Dave Gibbons wurde von der Zeitschrift Times sogar als einer der 100 besten Romane gewählt: http://www.time.com/time/2005/100books/the_complete_list.html(Letzter Aufruf: 29.3.2009, 22:00)
Die englische Bezeichnung für „Comicband für ältere Leser“, nämlich „graphic novel“, deutet an, dass eine strenge Trennung zwischen „Roman“ und „Comic“ vielleicht gar nicht möglich ist.

[Versionsgeschichte: Version II: 29-06-2012/12:45]

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