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Montage I:
Montagetechniken im Comic als ästhetisches Gestaltungsprinzip
Ein Anriss
I. Einleitung
In seinem
Aufsatz „Fumetti – Der Comic schwebt
zwischen den Extremen“[1] geht
Andreas Platthaus auf die Besonderheiten des Medium „Comics“ in ihrem
ästhetischen Gestaltungsprinzip ein. Dabei legt er seinen Fokus auf drei
französische Comic-Bände, die über eine spezielle Montagetechnik eine ganz
eigene Ästhetik entfalten und versucht an ihnen exemplarisch die Eigenarten des
Mediums in seiner Gestaltungsfreiheit herauszuarbeiten. Dieser Erklärungsgang
soll im Folgenden kurz skizziert werden. Anschließend wird noch auf eine
weitere Montagetechnik, die Platthaus nicht thematisiert, eingegangen, welche
an dieser Stelle mangels eines Fachtermini „Bild-Objekt-Montage“ genannt werden
soll.
II. Montage im Comic
Der Comic als
graphisches Medium ermöglicht sicher viele Gestaltungstechniken auf Montagebasis.
Das kann mitunter soweit gehen, dass eine einzelne Seite kaum noch als
klassische Comicseite wahrnehmbar ist. „Klassisch“ meint hier eine Aufteilung
in sog. panels (Einzelbilder), die eine Handlung beschreiben[2].
Fakultativ kann
dies durch Sprechblasen, Textboxen, onomatopoetische Effekte (‚Soundwords’)
oder In-Bild-Schrift geschehen – ein Beispiel für letzteres zeigt Abb 1. Die
Holzbretter hinter der Hauptfigur bilden den Namen eben jener Hauptfigur:
„Spirit“.
Abd. 1: Darwin Cooke, "The Spirit" (2007), Cover. (c) DC Comics |
Damit ist klar,
dass eine Comicseite an sich schon zu einem gewissen Grad eine Montage ist:
Nämlich in der Anordnung der einzelnen Bilder auf der Seite. Neben einer
klassischen, klar erkennbaren Panel-Struktur (s. bspw. Abb. 3) gab es immer
wieder experimentelle Seitenaufteilungen, teils mit hohem Fließtextgehalt, die
die klassische Definition einer Comicseite zu sprengen drohen – aber die
Montagetechnik weiter vorantrieben. Ein Beispiel für so eine Montageseite in
einem Comic ist dem Comic „Arkham Asylum“ von Morrison/McKean entnommen (Abb. 2).
Eine solche Montage wäre zwar auch in der Malerei denkbar, jedoch erfüllt diese
Seite neben dem rein darstellenden Zweck auch einen narrativen: Die Geschichte
(der sog. plot) wird auf jeder Seite
des Comics vorangetrieben[3].
Abd.2: Morrison/McKean, Arkham Asylum: A Serious House on Serious Earth (1989), 135-136. |
III. Montagetechniken im Comic 1: Bild-Text-Montage
Natürlich kennt
auch die Literatur eine lange Tradition der Montagetechniken, aber die
Bild-Text-Montage,
wie sie Platthaus anhand drei ausgewählter französischer Comicbände
schildert, ist
wohl nur im Medium Comic möglich[4]:
Bei diesen drei
Bänden handelt es sich zum ersten um Journal
d’un album von Dupuy & Berberian, zum zweiten um Journal von Fabrice Neaud und schließlich um Journal du journal du journal von Lewis Trondheim. Das Besondere an
diesen drei Werken ist, dass Neaud in Journal
schildert, wie er selbst bzw. sein gezeichnetes Alter Ego das erstgenannte Journal d’un album liest und kommentiert
– in einem Comic wird sich also mit einem anderen Comic auseinander gesetzt[5].
Trondheim nun geht noch einen Schritt weiter und schildert in Journal du journal du journal, wie er
seinerseits Neauds Journal liest, der
seinerseits wiederum Dupuy & Berberian liest. Bereits im Titel „Journal du journal du journal“ ist
dieser Dreiklang zu finden und setzt sich auch in der Typographie auf dem Deckblatt
fort[6]. Dies
sind alles noch technische Spielereien, die das Medium nicht allein hat. Das
Besondere findet sich erst auf den letzten Seiten des Trondheim-Comics:
Abd. 3: Lewis Trondheim, Journal du Journal du Journal (Datum unbek.), 148. |
Dort zeichnet
sich Trondheim selbst (als vogelgesichtiges Alter Ego), wie er die Lektüre
Neauds beendet (der ja seinerseits über die Lektüre bei Dupuy & Berberian
berichtete), voll Inspiration durch den Comic in sein Atelier rennt und genau
die Seite zeichnet, die der Leser gerade liest um dann „das letzte leere Bild
damit zu füllen, dass er vollkommen ratlos vor eben diesem letzten leeren Bild
sitzt“[7] (Abb.
2).
Damit hat Trondheim
diese Erzählform „auf die Spitze getrieben“[8] – und
das Medium neu ausgelotet. „Die Lektüre […] ist eine vierfache geworden“[9]
(Trondheim liest Trondheim, der Neaud liest, der Dupuy & Berberian liest)
bzw., als der Comic-Trondheim auch noch seine Frau als Leserin ins Spiel
bringt, sogar eine fünffache[10]. Ja,
der reale Leser des Journal du journal du
journal ist gewissermaßen sogar die sechste Rezeptionsebene vom ursprünglichen
Journal d’un album. Der Gipfel dieses
Spiels mit dem Medium ist nun, dass der echte Trondheim bereits einen Auftritt
in Dupuy & Berberians Journal d’un
album – als Kritiker ihrer Idee[11].
Eine solche
komplexe Zitat- und Montageapparatur stellt Trondheim gipfelnd auf nur einer
einzigen Seite dar – und wo diese theoretische Erklärung eine ganze Textseite
braucht, um den Phänomen der Trondheimschen Montage auf den Grund zu gehen, ist
dieses Zitatwerk auf der eigentlichen Comicseite gleich klar. Damit sieht man
also, mit welchen einfachen Mitteln das Medium Comic eine komplexe
Verschachtelung schaffen und zugleich in ihrer Komplexität auf wenige bildliche
und sprachliche Zeichen reduziert (Trondheims Comic umfasst gerade einmal drei
Seiten).
Montagetechniken im Comic 2: Bild-Objekt
-Montage
Eine weitere Möglichkeit
der ästhetischen Gestaltung ist das Montieren von einzelnen Objekten zu einem
größeren Objekt innerhalb der sequenziellen Erzählstruktur. Dafür sollen an
dieser Stelle zwei Beispiele mit einem ähnlichen End-Objekt genannt werden, einem
Totenkopf.
Abd. 4: Buckler/Wood, Creepy #75 (1975), o.O. |
Abb. 4 zeigt
eine Seite aus der Geschichte „Snow“, erschienen im Rahmen der Horror-Comicserie
„Creepy“, illustriert von Wally Wood. Dabei bilden Panel-Grenzen und einzelne
Objekte wie etwa er Hinterkopf des Protagonisten den Totenkopf. Text und Bild
interagieren hier auf besondere Weise, da der Protagonist in Lebensgefahr
schwebt und sich die moralische Frage stellt, ob er einen Jungen um seinetwillen
opfern kann. Während die ruhige, sitzende Körperhaltung der Figur und der helle
Seitenhintergrund diese Gefahr noch nicht ausdrücken, steht der Totenkopf
symbolisch für diese Gefährdung. Die Frage nach dem Überleben scheint
beantwortet. Auf einer zweiten Metaebene beantwortet der Totenkopf auch die
moralische Frage der Figur, ob er den Jungen opfern kann oder gar selber zum
Kannibalen werden könne, angesichts des Hungers in diesem apokalyptischen
Setting: Verdammnis ist vorprogrammiert. Bemerkenswert dabei ist, dass in drei
der vier Bilder, in die der Totenkopf die Seite unterteilt, ein zeitlicher Vorgang
zu beobachten ist: Der Junge schläft am Lagerfeuer langsam ein. Damit scheint
sein Schicksal besiegelt. Das Wort „Cannibalism“ ist zentral unter dem „Mund“
des Totenkopfes arrangiert, was symbolisch den Gedankengang des Mannes noch
einmal zum Ausdruck bringt.
Noch etwas
künstlerischer hat diese Bild-Objekt-Montage der Comiczeichner Neal Adams
weiterentwickelt: In einer Ausgabe der „Strange Adventures“ (Abb. 5) bilden
diverse Objekte das Gesicht des Protagonisten „Deadman“ (sein Gesicht ist ein
Totenkopf), der selber auf der Seite interagiert und offensichtlich einen
zeitlichen Fortschritt durchlebt – die sequentielle Handlung ist also gegeben.
Abd. 5: Adams, Strange Adventures #215 (1968), o.O. |
Die Seite ist
dabei sehr komplex gestaltet. Dass das große „Deadman“-Gesicht eigentlich nur
eine Montage aus anderen Objekten ist, fällt erst bei genauerem Hinsehen auf.
Bei einer Detailbetrachtung der Einzelteile fällt dann sogar auf, dass eines
der Objekte, die den Schädel bilden, Deadman selbst ist (Abb. 5, Panel 3). Auf
dem letzten Panel (Abb. 5, Panel 6) dann scheint Deadman sein eigenes,
überdimensionales Gesicht anzustarren – welches aber nie zu einem einzigen
Zeitpunkt existiert hat, eben da die Seite einen chronologischen Ereignisverlauf
zeigt, Panel 1 also zeitlich vor Panel 6 spielt. Hier wird also eine reflexive
Selbsterkenntnis des Deadman auf einer einzigen Comicseite – ohne derartige Worte
zu benutzen – dargestellt und gleichzeitig eine Handlung erzählt. So etwas ist
wohl nur im Medium Comic dergestalt möglich.
IV. Fazit
Die gezeigten
Beispiele deuten die exklusiven Möglichkeiten des Medium Comics an, ohne erschöpfend
zu sein. In seiner ästhetischen Gestaltungsweise ist das Comic recht frei, da
auf der Ebene des Textes, des Bildes und in der Interaktion dieser beiden
Elemente gearbeitet werden kann. Über Jahrzehnte der Comichistorie wurde das
Medium durch Künstler wie McKean, Trondheim, Wood oder Adams (und sehr viele
mehr) um immer mehr Möglichkeiten bereichert. Da es zudem als einziges Medium
Text und Bild dermaßen verwebt, stehen ihm auch die Möglichkeiten etwa aus der
Literatur[12], der Malerei und auch des
Filmes wenn auch nicht zur Gänze, so doch in großem Maße zur Verfügung. Das
Comic ist daher als sehr reiches Medium in seinen ästhetischen
Entfaltungsmöglichkeiten zu betrachten.
Literaturverzeichnis
- Platthaus, Andreas, Fumetti – Der Comic schwebt zwischen den Extremen in: Kaspar Maase (Hg.), Die Schönheiten des Populären, Frankfurt 2008, 133-156.
- McCloud, Scott, Understanding Comics, New York 2000.
- Grossman, Lev u. Lacayo, Richard, All-time 100 novels http://www.time.com/time/2005/100books/the_complete_list.html (Letzter Aufruf: 29.3.2009, 22:00)
Abbildungsverzeichnis
- Cooke, Darwyn, The Spirit #1. DC Comics New York 2007, Titelblatt.
- Morrison, Grant u. McKean, David, Arkham Asylum: A Serious House on Serious Earth. DC Comics New York 1989, 135-136.
- Trondheim, Lewis, Journal du journal du journal aus: Kaspar Maase (Hg.), Die Schönheiten des Populären, Frankfurt 2008, 148.
- Buckler, Rich u. Wood, Wally, Snow in: Creepy #75, Warren Magazine, o.O. 1975.
- Adams, Neal, Strange Adventures #215. Marvel Comics 1968.
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Fußnoten
[1] erschienen in Maase (2008)
[2] Die Definitionen, was ein
Comic eigentlich ist, sind uneinheitlich. Hier wird der erweiterten Definition
von McCloud (2000, S.9) gefolgt. Demnach sind Comics zu räumlichen Sequenzen
angeordneten, bildliche (oder andere) Zeichen, die Informationen vermitteln
und/oder eine ästhetische Wirkung bei den Rezipienten erzeugen.
[3] vgl. auch Platthaus (2008,
S.139)
[4] Platthaus (2008, S.145ff.)
[5] Platthaus (2008, S.146)
[6] Platthaus (2008, S.148)
[7] Platthaus (2008, S.151)
[8] Platthaus (2008, S.151)
[9] Platthaus (2008, S.150)
[10] Platthaus (2008, S.150)
[11] Platthaus (2008, S.148)
[12] Der Comic Watchmen von Alan Moore und Dave Gibbons
wurde von der Zeitschrift Times sogar als einer der 100 besten Romane gewählt: http://www.time.com/time/2005/100books/the_complete_list.html(Letzter Aufruf: 29.3.2009, 22:00)
Die englische Bezeichnung für „Comicband für ältere
Leser“, nämlich „graphic novel“, deutet an, dass eine strenge Trennung zwischen
„Roman“ und „Comic“ vielleicht gar nicht möglich ist.
[Versionsgeschichte: Version II: 29-06-2012/12:45]
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