Freitag, 29. Juni 2012

Imitation als Reminiszenz

Imitation als Reminiszenz
von Denis Hundhausen

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Einleitung

Dass Comiczeichner sich gerne vor Größen ihres Genres verbeugen, ist keine Neuheit. Oftmals finden sich Bildzitate zu berühmten Covern, Artwork oder Szenen in oder auf neuzeitlichen Comic-Panels oder -Covern[1].
In den letzten Jahren war allerdings ein besonderes Phänomen zu beobachten: Rückblenden innerhalb einer Comicgeschichte wurden durch Stil-Imitationen zeitlich verortet. Dies ist wie folgt zu verstehen: Jeder Comic-Zeichner hat einen Stil, manche davon haben eine ganze Ära geprägt oder stehen zumindest sinnbildlich für diese (Beispiele nachfolgend). Will der heutige Comiczeichner also klar machen, dass eine Rückblende in einer bestimmten Ära spielt, kann er dies erreichen, indem er den Stil des diese Ära prägenden Zeichners imitiert.
Wie dies genau aussieht und ob dies nur auf zeichnerischer Ebene stattfindet, oder auch auf Ebene des Autors, werde ich im Folgenden versuchen anhand des Comics Stormwatch #5[2] versuchen zu erörtern.


I. Stormwatch #5

Dieser Comic erschien im August 2003 in Deutschland und beinhaltete die amerikanischen Stormwatch-Ausgaben #44 und #45, wobei letztgenannten US-Ausgabe für diese Betrachtung unerheblich ist. Ich werde mich im Folgenden rein auf den ersten Teil der deutschen Ausgabe (also die US-Nummer 44) beschränken.
Verantwortlich für diese Ausgabe zeichneten sich Warren Ellis als Autor, Tom Raney als Zeichner, Randy Elliot als Tuscher sowie Gina Going und Laura Depuy als Koloristinnen[3].

Die Geschichte beginnt mit einem Gespräch zwischen den Charakteren „Jenny Sparks“ und „Battalion“, in dem Sparks aus ihrem Leben erzählt[4]. Da sie am 1. Januar 1900 geboren wurde, ist ihr jeweiliges Alter kohärent mit dem jeweiligen Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts. Sparks hörte mit 20 Jahren auf zu altern. Die Geschichte, die Sparks nun erzählt, umspannt alle Dekaden von 1920 bis 1990[5]. Das wissenschaftlich gesehen Interessante dabei ist jedoch, dass jede Dekade einen anderen Zeichenstil aufweist, obwohl das Kreativteam nicht wechselt. Nur die Gesprächspassagen in der Handlungsgegenwart sind in Raneys tatsächlichem Stil gehalten. Warum ist dies so? Der Frage wird im Folgenden nachgegangen.

II. Imitation als Reminiszenz

Der Stil Raneys, aber auch seines Inkers und seiner Koloristinnen passt sich nämlich jedes Mal an einen prägenden Zeichenstil jener Ära an, in der die Handlung gerade spielt. Sparks Rückblick beginnt in den 1920ern mit einem einzelnen Panel[6], welches im Stile der 1920er Comic-Serie „Buck Rogers“ gehalten ist:

Abd. 1: Jennys Erinnerungen an die 20er

Auf Textebene berichtet Sparks von den zeitgeschichtlichen Ereignissen der 20er (Relativitätstheorie), um dann von den „Phasenschiffen“ zu erzählen – also mit dem Raumschiff als konstituierendes Momentum der Buck-Rogers-Comics. So wie Rogers den Wetlraum für dei Comics erschlossen hat, haben die Phasenschiffe den Weltraum für Sparks erschlossen.
Die Geschichte folgt Sparks in die nächste Dekade. Raney imitiert hierbei den Stil von Joe Shuster, dem Zeichner von Action Comics #1 und Mit-Erfinder Supermans:

Abd. 2: Die 30er erinnern frappierend an Supermans ersten Auftritt.

Auch andere Stilelemente der frühen Action-Comics werden übernommen, vor allem die Form der Sprechblasen. Einen (gewollten) Stilbruch zum damaligen Zeitgeist der Comics stellt lediglich die Tatsache dar, dass der Protagonist weiblich ist und sie ihr Rollenideal als submissive Frau nicht erfüllt, sondern sogar einen Mann abweist[7]. Dieser Mann („Clarence“ als Anspielung auf Clark Kent, beide Journalisten) nimmt dabei, ganz im Sinne der vertauschten Rollenbilder, die Rolle der „Damsel in Distress“ ein, die sonst in der Regel Lois Lane zufallen würde. Auch erwähnt der Autor im letzten Text-Panel Folgendes: „Ich [Sparks] und Meinesgleichen tollten förmlich über die Strassen der Depression, ganz als würden unsere Leben von Teenagern erdacht“[8]. Sicherlich eine Anspielung auf die damals meist noch sehr jungen Schöpfer der frühen „Action Comics“ und „Amazing Stories“[9] sowie ein Kommentar zum Eskapismus der Superhelden-Comics in den Zeiten der „Great Depression“, die dem Leser eine Lösung aller Probleme in Form eines Übermenschen anboten, der für soziale Gerechtigkeit stritt[10].

Die nächste Etappe in Sparks’ Geschichte sind die 40ern, in denen der Stil Will Eisners und seine Kreation „The Spirit“ nachgeahmt werden:

Abd. 3: Deutliche Spirit-Anleihen sind erkennbar

Die Figur des Polizeikommissars in „Stormwatch“ scheint eine direkte Referenz auf die Figur des Dolan in „The Spirit“ zu sein. Erneut findet sich hier der Rollenwechsel: War Dolan immer besorgt ob der Unschuld seiner Tochter Ellen, so fragt der Kommissar in Stormwatch nach seinem Sohn Alan, legt dies aber bald ad acta[11].

Abd. 4: Inspector Dolan und sein Doppelgänger

In den 50ern, als Reminiszenz an das sog. „Silver Age“ der Comicgeschichte, öffnet sich eine sog. „Phasentür“, die eine Art komische Strahlung austreten lässt, die dafür sorgt, dass normale Menschen zu Superhelden werden. Dies muss als Anspielung auf das Silver Age an sich und die damit beginnende „Inflation der Superhelden“ (u.A. Justice League of America, Spider-Man, Hulk, Iron Man u.v.m.) verstanden werden.
Im Folgenden (den 60ern) findet sich zunächst ein Panel, das einen Seitenhieb auf Robert Crumb darstellt[12], ehe dann ein Panel folgt, das so aussieht, als wäre es direkt von Jack Kirby persönlich gezeichnet worden[13]:
Abd. 5: Vorlage und Nachzeichnung

Es steht sogar zu vermuten, dass das Cover von Avengers #4 aus dem Jahre 1964 als direkte Vorlage für das Panel aus Stormwatch Pate stand. Anordnung und Körperhaltung einzelner Figuren ist extrem ähnlich – die von Captain America (rechts, Nr. 1) und Abel Eternity (links, Nr. 1) ist – abgesehen von Captain Americas Schild – sogar gänzlich identisch, ebenso die von Iron Man (rechts, 5) und dem Unsichtbaren in der Ritterrüstung (links, 5).
Zur Kennzeichnung der Parallelen zwischen dem historischen Kirby-Cover und Raneys Zeichnung habe ich die jeweils ähnlichen Figuren mit der gleichen roten Indexzahl bedacht.

Nach einem Sprung hinein in die Achtziger folgt die längste Imitationssequenz: Auf sechs Seiten[14] referenziert das gesamte Kreativteam den Comic „Watchmen“ von Alan Moore und Dave Gibbons. Das beginnt bei Rameys Zeichenstil, setzt sich über die Kolorierung fort und findet selbst in der Verwendung der Stilmittel des Comics „Watchmen“ seinen Widerhall. Die erste Seite aus dem ersten Watchmenheft (das „Call me Ishmael” der Comic-Geschichte[15]) wird in „Stormwatch“ fast 1:1 imitiert: Der Zoom-Out in mehreren Schritten, das Blut auf den Straßen, das Setting, die Beleuchtung etc:

Abd. 6: Die Watchmenanleihen in den 80ern sind mehr als deutlich.
 
Raney passt seinen Stil so sehr an den von Dave Gibbons an, dass Jenny Sparks zwischendurch dem Charakter „Silk Spectre“ zum Verwechseln ähnlich sieht.
Abd. 7: Jenny Sparks Vs. Laurie Juspeczyk alias Silk Spectre

III. Cover

Mit dem Wissen um diese Stilmittel lohnt auch ein erneuter Blick auf das Cover, welches dem Leser natürlcih als erstes auffallen sollte, nun aber, im neuen Kontext, noch einmal einen andeen Sinn ergibt. Auch das Cover ist eine Imitation, ein Konglomerat aus verschiedenen Stilelementen der sog. „Horror Comics“. Im genauen löst dies der Blog „Ilovecomiccovers“ auf[16] – hier in einer Graphik veranschaulicht:

Abd. 8: Die Zitate auf dem Stormwatch-Cover


Auch ist interessant zu wissen, dass US-Stormwatch #44 in drei Covervarianten erschien. Die eine wie oben abgebildet, die anderen beiden waren erneut eine Referenz an Watchmen sowie ein von 70er-Zeichner Gil Kane entworfenes, welches an die 70er erinnern soll. 

Abd. 9: Gil Kanes Alternativcover zu US-Stormwatch #44

Es ist zu beachten, dass das Watchmen-esque Cover sogar jenes Stilmittel des Originalcomics nachahmt, nach dem das Cover eines jeden Watchmen-Heftes jeweils das erste oder zweite Panel der ersten Seite ist (nur stärker vergrößert).

Abd. 10: Watchmen-Alternativcover zu US-Stormwatch #44

IV. Inhaltliche Ebene und Fazit

Um das ganze, was ich bisher berichtet habe, besser verstehen zu können, muss man sich vor Augen führen, von welcher Figur diese Rückblendenerzählung getätigt wird: Jenny Sparks.
Sparks ist der „Geist des 20. Jahrhunderts“ („spirit of the 20th century“). Sie wurde am 1.Januar 1900 geboren und starb am 31. Dezember 1999. 1920 hörte sie auf zu altern. Im 20. Jahrhundert war sie bei wichtigen historischen Anlässen entweder zugegen oder wurde von ihnen beeinflusst: Ihre Eltern starben auf der Titanic, ihr Patenonkel war Albert Einstein, usw[17]. Die Charakterbiografie wurde also mit real-historischen Ereignissen verwoben, ebenso aber mit Fiktionalen, wie beispielweise Parallelwelten und Superheldenprogramm der diversen Regierungen.
Wie bereits oben angerissen hat Jenny Sparks also die Entstehung des „Superhelden“ hautnah miterlebt – von den ersten Phasenschiffen über die bunten Kostüme der 60er bis zum grimmigen Anti-Helden der 80er. Daher ist es ein nachvollziehbares Stilmittel des Kreativteams, jede Epoche in einem prägenden Stil der damaligen Comic-Ära darzustellen. Nicht nur verneigen sich Ellis und Raney auf diese Art vor Größen wie Eisner, Kirby und Moore/Gibbons, sondern zeigen sie auch, dass Imitation eben auch die Funktion der Reminiszenz erfüllen kann, weit ab von jedem Plagiat. Dies zeigt einfach auch, dass sie die Spielarten ihres Mediums verstanden haben. Erinnert sich der Leser an die Superheldencomics der 60er Jahre, wird auch ihm der prägnante Zeichenstil Jack Kirbys in denn Sinn kommen. In Erinnerungen an die 80er kommt Watchmen zweifelsohne mit als erstes in den Sinn, usw. Diesen Effekt ahmen sie nun in einem eigenen Comic nach und lassen ihn durch die Figur Jenny Sparks (deren Erinnerungen es ja letztlich sind) katalysieren. Dabei erweitern sie gleich noch das Medium um das Stilmittel der Imitation als Reminiszenz bzw. benutzen dies meisterhaft in flächendeckender Weise.

 
 Literatur
  • Warren Ellis/Tom Raney, Stormwatch #5 (dt.), mg publishing, Rastatt 2003.
  • Mark Millar/ John McCrea „Jenny Sparks – The Secret History of the Authority“, DC Comics New York 2000.
  • Les Daniels, Superman: The Complete History – The Life and Times of the Man of Steel, Chronicle Books, San Francisco 2004.


Weblinks


Abbildungsverzeichnis

  • Abd. 1:
Tom Raney, Stormwatch #5, mg publishing, Rastatt 2003, 4.
Dick Chalkins, Buck Rogers 25th Century A.D, Cover.

  • Abd. 2:
Tom Raney, Stormwatch #5,  mg publishing, Rastatt 2003, 5.
Joel Shuster, Action Comics #1, DC Comics, New York 1938, 2.

  • Abd. 3:
Tom Raney, Stormwatch #5, mg publishing, Rastatt 2003, 6.
Will Eisner, The Spirit (unbek. Ausgabe), Quality Comics Group, o.O. o.D.

  • Abd. 4:
Tom Raney, Stormwatch #5, mg publishing, Rastatt 2003, 6.
Will Eisner, The Spirit (unbek. Ausgabe), Quality Comics Group, o.O. o.D.

  • Abd. 5:
Tom Raney, Stormwatch #5, mg publishing, Rastatt 2003, 13.
Jakc Kirby, The Avengers #4, Marvel Comics, New York 1964, Cover.

  • Abd. 6:
Tom Raney, Stormwatch #5, mg publishing, Rastatt 2003, 19.
Dave Gibbons, Watchmen #1, DC Comics, New York 1986, 1.

  • Abd. 7:
Tom Raney, Stormwatch #5, mg publishing, Rastatt 2003, 20 (gespiegelt).
Tom Raney, Stormwatch #5, mg publishing, Rastatt 2003, 18.
Dave Gibbons, Watchmen #12, DC Comics, New York 1986, 17.
Dave Gibbons, Watchmen #3, DC Comics, New York 1986, 23.

  • Abd. 8:
Tom Raney, Stormwatch #5, mg publishing, Rastatt 2003, Cover.
Al Feldstein, Tales from the Crypt #24, EC Comics, New York 1951, Cover.
Jack Davis, Incredible Science Fiction #31, EC Comics, New York 1955, Cover.
Wally Wood, Weird Science # 16, EC Comics, New York 1952, Cover.

  • Abd. 9:
Gil Kane, Stormwatch #44, Image Comics, New York 1998, Alternatives Cover.
Gil Kane, Captain Marvel #17, Marvel Comics, New York 1968, 14.

  • Abd. 10:
Tom Raney, Stormwatch #44, Image Comics, New York 1998, Alternatives Cover.
Dave Gibbons, Watchmen #1, DC Comics, New York 1986, Cover.


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[1] Vgl. stellvertretend http://mustusepowers.blogspot.de/2011/01/homages-to-action-comics-1.html mit Hommagen an das berühmte Cover von „Action Comics #1“, dem ersten Auftritt Supermans.
[2] Elis/Raney, Stormwatch #5 (dt.), mg publishing, Rastatt 2003.
[3] vgl. ebd., Innenband.
[4] Elis/Raney, Stormwatch #5, 3.
[5] In den USA erschien die vorliegende Geschichte bereits 1997.
[6] Elis/Raney, Stormwatch #5, 4.
[7] Elis/Raney, Stormwatch #5, 5.
[8] A.a.O.
[9] Siegel und Shuster waren beide 24 als sie Superman erschufen
[10] Daniels, Superman, 22–23.
[11] Elis/Raney, Stormwatch #5, 6.
[12] Elis/Raney, Stormwatch #5, 13.
[13] A.a.O.
[14] Elis/Raney, Stormwatch #5, 19-24
[17] Vgl. Mark Millar/ John McCrea „Jenny Sparks – The Secret History of the Authority“, DC Comics, New York 2000.

 Latest Version II: 10-07-2012, 13:25

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