Imitation als Reminiszenz
von Denis Hundhausen
Einleitung
Dass Comiczeichner sich gerne vor Größen ihres Genres
verbeugen, ist keine Neuheit. Oftmals finden sich Bildzitate zu berühmten
Covern, Artwork oder Szenen in oder auf neuzeitlichen Comic-Panels oder -Covern[1].
In den letzten Jahren war allerdings ein besonderes Phänomen
zu beobachten: Rückblenden innerhalb einer Comicgeschichte wurden durch
Stil-Imitationen zeitlich verortet. Dies ist wie folgt zu verstehen: Jeder
Comic-Zeichner hat einen Stil, manche davon haben eine ganze Ära geprägt oder
stehen zumindest sinnbildlich für diese (Beispiele nachfolgend). Will der
heutige Comiczeichner also klar machen, dass eine Rückblende in einer
bestimmten Ära spielt, kann er dies erreichen, indem er den Stil des diese Ära
prägenden Zeichners imitiert.
Wie dies genau aussieht und ob dies nur auf zeichnerischer
Ebene stattfindet, oder auch auf Ebene des Autors, werde ich im Folgenden
versuchen anhand des Comics Stormwatch #5[2] versuchen
zu erörtern.
I. Stormwatch #5
Dieser Comic erschien im August 2003 in Deutschland und beinhaltete
die amerikanischen Stormwatch-Ausgaben #44 und #45, wobei letztgenannten
US-Ausgabe für diese Betrachtung unerheblich ist. Ich werde mich im Folgenden
rein auf den ersten Teil der deutschen Ausgabe (also die US-Nummer 44)
beschränken.
Verantwortlich für diese Ausgabe zeichneten sich Warren
Ellis als Autor, Tom Raney als Zeichner, Randy Elliot als Tuscher sowie Gina Going
und Laura Depuy als Koloristinnen[3].
Die Geschichte beginnt mit einem Gespräch zwischen den
Charakteren „Jenny Sparks“ und „Battalion“, in dem Sparks aus ihrem Leben
erzählt[4]. Da
sie am 1. Januar 1900 geboren wurde, ist ihr jeweiliges Alter kohärent mit dem
jeweiligen Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts. Sparks hörte mit 20 Jahren auf zu
altern. Die Geschichte, die Sparks nun erzählt, umspannt alle Dekaden von 1920
bis 1990[5]. Das
wissenschaftlich gesehen Interessante dabei ist jedoch, dass jede Dekade einen
anderen Zeichenstil aufweist, obwohl das Kreativteam nicht wechselt. Nur die
Gesprächspassagen in der Handlungsgegenwart sind in Raneys tatsächlichem Stil
gehalten. Warum ist dies so? Der Frage wird im Folgenden nachgegangen.
II. Imitation als
Reminiszenz
Der Stil Raneys, aber auch seines Inkers und seiner
Koloristinnen passt sich nämlich jedes Mal an einen prägenden Zeichenstil jener
Ära an, in der die Handlung gerade spielt. Sparks Rückblick beginnt in den
1920ern mit einem einzelnen Panel[6],
welches im Stile der 1920er Comic-Serie „Buck Rogers“ gehalten ist:
Abd. 1: Jennys Erinnerungen an die 20er |
Auf Textebene berichtet Sparks von den zeitgeschichtlichen
Ereignissen der 20er (Relativitätstheorie), um dann von den „Phasenschiffen“ zu
erzählen – also mit dem Raumschiff als konstituierendes Momentum der
Buck-Rogers-Comics. So wie Rogers den Wetlraum für dei Comics erschlossen hat, haben die Phasenschiffe den Weltraum für Sparks erschlossen.
Die Geschichte folgt Sparks in die nächste Dekade. Raney
imitiert hierbei den Stil von Joe Shuster, dem Zeichner von Action Comics #1
und Mit-Erfinder Supermans:
Abd. 2: Die 30er erinnern frappierend an Supermans ersten Auftritt. |
Auch andere Stilelemente der frühen Action-Comics werden
übernommen, vor allem die Form der Sprechblasen. Einen (gewollten) Stilbruch
zum damaligen Zeitgeist der Comics stellt lediglich die Tatsache dar, dass der
Protagonist weiblich ist und sie ihr Rollenideal als submissive Frau nicht
erfüllt, sondern sogar einen Mann abweist[7].
Dieser Mann („Clarence“ als Anspielung auf Clark Kent, beide Journalisten)
nimmt dabei, ganz im Sinne der vertauschten Rollenbilder, die Rolle der „Damsel
in Distress“ ein, die sonst in der Regel Lois Lane zufallen würde. Auch erwähnt
der Autor im letzten Text-Panel Folgendes: „Ich [Sparks] und Meinesgleichen
tollten förmlich über die Strassen der Depression, ganz als würden unsere Leben
von Teenagern erdacht“[8].
Sicherlich eine Anspielung auf die damals meist noch sehr jungen Schöpfer der
frühen „Action Comics“ und „Amazing Stories“[9] sowie
ein Kommentar zum Eskapismus der Superhelden-Comics in den Zeiten der „Great
Depression“, die dem Leser eine Lösung aller Probleme in Form eines
Übermenschen anboten, der für soziale Gerechtigkeit stritt[10].
Die nächste Etappe in Sparks’ Geschichte sind die 40ern, in
denen der Stil Will Eisners und seine Kreation „The Spirit“ nachgeahmt werden:
Abd. 3: Deutliche Spirit-Anleihen sind erkennbar |
Die Figur des Polizeikommissars in „Stormwatch“ scheint eine
direkte Referenz auf die Figur des Dolan in „The Spirit“ zu sein. Erneut findet
sich hier der Rollenwechsel: War Dolan immer besorgt ob der Unschuld seiner
Tochter Ellen, so fragt der Kommissar in Stormwatch nach seinem Sohn Alan, legt
dies aber bald ad acta[11].
Abd. 4: Inspector Dolan und sein Doppelgänger |
In den 50ern, als Reminiszenz an das sog. „Silver Age“ der
Comicgeschichte, öffnet sich eine sog. „Phasentür“, die eine Art komische
Strahlung austreten lässt, die dafür sorgt, dass normale Menschen zu
Superhelden werden. Dies muss als Anspielung auf das Silver Age an sich und die
damit beginnende „Inflation der Superhelden“ (u.A. Justice League of America,
Spider-Man, Hulk, Iron Man u.v.m.) verstanden werden.
Im Folgenden (den 60ern) findet sich zunächst ein Panel, das
einen Seitenhieb auf Robert Crumb darstellt[12], ehe
dann ein Panel folgt, das so aussieht, als wäre es direkt von Jack Kirby
persönlich gezeichnet worden[13]:
Abd. 5: Vorlage und Nachzeichnung |
Es steht sogar zu vermuten, dass das Cover von Avengers #4
aus dem Jahre 1964 als direkte Vorlage für das Panel aus Stormwatch Pate stand.
Anordnung und Körperhaltung einzelner Figuren ist extrem ähnlich – die von
Captain America (rechts, Nr. 1) und Abel Eternity (links, Nr. 1) ist –
abgesehen von Captain Americas Schild – sogar gänzlich identisch, ebenso die
von Iron Man (rechts, 5) und dem Unsichtbaren in der Ritterrüstung (links, 5).
Zur Kennzeichnung der Parallelen zwischen dem historischen
Kirby-Cover und Raneys Zeichnung habe ich die jeweils ähnlichen Figuren mit der
gleichen roten Indexzahl bedacht.
Nach einem Sprung hinein in die Achtziger folgt die längste
Imitationssequenz: Auf sechs Seiten[14]
referenziert das gesamte Kreativteam den Comic „Watchmen“ von Alan Moore und
Dave Gibbons. Das beginnt bei Rameys Zeichenstil, setzt sich über die
Kolorierung fort und findet selbst in der Verwendung der Stilmittel des Comics
„Watchmen“ seinen Widerhall. Die erste Seite aus dem ersten Watchmenheft (das
„Call me Ishmael” der Comic-Geschichte[15])
wird in „Stormwatch“ fast 1:1 imitiert: Der Zoom-Out in mehreren Schritten, das
Blut auf den Straßen, das Setting, die Beleuchtung etc:
Abd. 6: Die Watchmenanleihen in den 80ern sind mehr als deutlich. |
Raney passt seinen Stil so sehr an den von Dave Gibbons an,
dass Jenny Sparks zwischendurch dem Charakter „Silk Spectre“ zum Verwechseln
ähnlich sieht.
Abd. 7: Jenny Sparks Vs. Laurie Juspeczyk alias Silk Spectre |
III. Cover
Mit dem Wissen um diese Stilmittel lohnt auch ein erneuter
Blick auf das Cover, welches dem Leser natürlcih als erstes auffallen sollte,
nun aber, im neuen Kontext, noch einmal einen andeen Sinn ergibt. Auch das
Cover ist eine Imitation, ein Konglomerat aus verschiedenen Stilelementen der
sog. „Horror Comics“. Im genauen löst dies der Blog „Ilovecomiccovers“ auf[16] –
hier in einer Graphik veranschaulicht:
Abd. 8: Die Zitate auf dem Stormwatch-Cover |
Auch ist interessant zu wissen, dass US-Stormwatch #44 in
drei Covervarianten erschien. Die eine wie oben abgebildet, die anderen beiden
waren erneut eine Referenz an Watchmen sowie ein von 70er-Zeichner Gil Kane
entworfenes, welches an die 70er erinnern soll.
Abd. 9: Gil Kanes Alternativcover zu US-Stormwatch #44 |
Es ist zu beachten, dass das
Watchmen-esque Cover sogar jenes Stilmittel des Originalcomics nachahmt, nach
dem das Cover eines jeden Watchmen-Heftes jeweils das erste oder zweite Panel
der ersten Seite ist (nur stärker vergrößert).
Abd. 10: Watchmen-Alternativcover zu US-Stormwatch #44 |
IV. Inhaltliche Ebene und Fazit
Um das ganze, was ich bisher berichtet habe, besser
verstehen zu können, muss man sich vor Augen führen, von welcher Figur diese
Rückblendenerzählung getätigt wird: Jenny Sparks.
Sparks ist der „Geist des 20. Jahrhunderts“ („spirit of the 20th century“). Sie wurde am 1.Januar 1900
geboren und starb am 31. Dezember 1999. 1920 hörte sie auf zu altern. Im 20.
Jahrhundert war sie bei wichtigen historischen Anlässen entweder zugegen oder
wurde von ihnen beeinflusst: Ihre Eltern starben auf der Titanic, ihr
Patenonkel war Albert Einstein, usw[17]. Die
Charakterbiografie wurde also mit real-historischen Ereignissen verwoben,
ebenso aber mit Fiktionalen, wie beispielweise Parallelwelten und
Superheldenprogramm der diversen Regierungen.
Wie bereits oben angerissen hat Jenny Sparks also die
Entstehung des „Superhelden“ hautnah miterlebt – von den ersten Phasenschiffen
über die bunten Kostüme der 60er bis zum grimmigen Anti-Helden der 80er. Daher
ist es ein nachvollziehbares Stilmittel des Kreativteams, jede Epoche in einem
prägenden Stil der damaligen Comic-Ära darzustellen. Nicht nur verneigen sich
Ellis und Raney auf diese Art vor Größen wie Eisner, Kirby und Moore/Gibbons,
sondern zeigen sie auch, dass Imitation eben auch die Funktion der Reminiszenz
erfüllen kann, weit ab von jedem Plagiat. Dies zeigt einfach auch, dass sie die
Spielarten ihres Mediums verstanden haben. Erinnert sich der Leser an die
Superheldencomics der 60er Jahre, wird auch ihm der prägnante Zeichenstil Jack
Kirbys in denn Sinn kommen. In Erinnerungen an die 80er kommt Watchmen
zweifelsohne mit als erstes in den Sinn, usw. Diesen Effekt ahmen sie nun in
einem eigenen Comic nach und lassen ihn durch die Figur Jenny Sparks (deren
Erinnerungen es ja letztlich sind) katalysieren. Dabei erweitern sie gleich noch
das Medium um das Stilmittel der Imitation als Reminiszenz bzw. benutzen dies
meisterhaft in flächendeckender Weise.
Literatur
- Warren Ellis/Tom Raney, Stormwatch #5 (dt.), mg publishing, Rastatt 2003.
- Mark Millar/ John McCrea „Jenny Sparks – The Secret History of the Authority“, DC Comics New York 2000.
- Les Daniels, Superman: The Complete History – The Life and Times of the Man of Steel, Chronicle Books, San Francisco 2004.
Weblinks
- http://ilovecomiccovers.blogspot.de/2011/07/stormwatch-44-homage-thon.html
- http://levinalbright.com/2011/09/18/you-keep-copying-watchmen-but-you-keep-doing-it-wrong/
- http://mustusepowers.blogspot.de/2011/01/homages-to-action-comics-1.html
Abbildungsverzeichnis
- Abd. 1:
Tom Raney, Stormwatch #5, mg publishing, Rastatt 2003, 4.
Dick Chalkins, Buck Rogers 25th
Century A.D, Cover.
- Abd. 2:
Tom Raney, Stormwatch #5, mg publishing,
Rastatt 2003, 5.
Joel Shuster, Action Comics #1, DC
Comics, New York
1938, 2.
- Abd. 3:
Tom Raney, Stormwatch #5, mg publishing, Rastatt 2003, 6.
Will Eisner, The Spirit (unbek. Ausgabe), Quality
Comics Group, o.O. o.D.
- Abd. 4:
Tom Raney, Stormwatch #5, mg publishing, Rastatt 2003, 6.
Will Eisner, The Spirit (unbek. Ausgabe), Quality
Comics Group, o.O. o.D.
- Abd. 5:
Tom Raney, Stormwatch #5, mg publishing, Rastatt 2003, 13.
Jakc Kirby, The Avengers #4, Marvel Comics, New York 1964, Cover.
- Abd. 6:
Tom Raney, Stormwatch #5, mg publishing, Rastatt 2003, 19.
Dave Gibbons, Watchmen #1, DC Comics,
New York
1986, 1.
- Abd. 7:
Tom Raney, Stormwatch #5, mg publishing, Rastatt 2003, 20 (gespiegelt).
Tom Raney, Stormwatch #5, mg publishing, Rastatt 2003, 18.
Dave Gibbons, Watchmen #12, DC
Comics, New York
1986, 17.
Dave Gibbons, Watchmen #3, DC Comics,
New York
1986, 23.
- Abd. 8:
Tom Raney, Stormwatch #5, mg publishing, Rastatt 2003, Cover.
Al Feldstein, Tales from the Crypt #24, EC Comics, New York 1951, Cover.
Jack Davis, Incredible Science Fiction #31, EC Comics, New York 1955, Cover.
Wally Wood, Weird Science # 16, EC
Comics, New York
1952, Cover.
- Abd. 9:
Gil Kane, Stormwatch #44, Image Comics, New York 1998, Alternatives Cover.
Gil Kane, Captain Marvel #17, Marvel Comics, New York 1968, 14.
- Abd. 10:
Tom Raney, Stormwatch #44, Image Comics, New York 1998, Alternatives Cover.
Dave Gibbons, Watchmen #1, DC Comics,
New York
1986, Cover.
[1] Vgl. stellvertretend http://mustusepowers.blogspot.de/2011/01/homages-to-action-comics-1.html
mit Hommagen an das berühmte Cover von „Action Comics #1“, dem ersten Auftritt
Supermans.
[2] Elis/Raney, Stormwatch #5 (dt.), mg
publishing, Rastatt 2003.
[3] vgl. ebd., Innenband.
[4] Elis/Raney,
Stormwatch #5, 3.
[5] In den USA erschien die
vorliegende Geschichte bereits 1997.
[6] Elis/Raney, Stormwatch #5,
4.
[7] Elis/Raney, Stormwatch #5,
5.
[8] A.a.O.
[9] Siegel und Shuster waren
beide 24 als sie Superman erschufen
[10] Daniels, Superman, 22–23.
[11] Elis/Raney,
Stormwatch #5, 6.
[12] Elis/Raney, Stormwatch #5, 13.
[13] A.a.O.
[14] Elis/Raney, Stormwatch #5, 19-24
[17] Vgl. Mark Millar/ John McCrea „Jenny Sparks –
The Secret History of the Authority“, DC Comics, New York 2000.
Latest Version II: 10-07-2012, 13:25
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