Probleme der Comicforschung I: Wissenschaftliche Werkzeuge
von Denis Hundhausen
von Denis Hundhausen
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Einleitung
Will man sich wissenschaftlich
mit Comics befassen, so muss man natürlich auch das wissenschaftliche
Handwerkszeug auf diese Disziplin anwenden. Auch bei der Besprechung von einem
oder Referenz auf ein Comic müssen basale Dinge wie Fußnoten, Quellenangabe und
dergleichen mehr angegeben werden.
Allerdings merkt man, wenn man
sich etwas in die Materie vertieft, dass dieses Handwerkszeug eben in Bezug auf
klassische Bücher entstanden ist (egal ob Monographien, Lexika oder dergleichen
mehr). Daher muss man, will man diesen modus operandi auf die Comicforschung
anwenden, sich im Klaren sein, dass er in Grenzbereichen des Comics nur
unzureichend funktionieren kann.
Im Folgenden möchte ich einige
der Probleme schildern und Lösungen vorschlagen.
1. Problem: Autorenschaft und Bibliografie serieller Comichefte
Die Frage nach der Auotrenschaft
ist differenziert zu betrachten. In manchen Comics ist sie einfach zu
beantworten, da sie monographischer Natur sind: „Blankets“ ist von Craig
Thompson, „Maus“ von Art Spiegelman usw. Diese Comics können nach dem
altbekannten Muster zitiert werden, bspw.:
Vorname Nachmame, Titel, (Ausgabe, Verlag) Ort Jahr.
Wie
würde man nun aber beispielsweise ein beliebiges Heft aus einer
Superheldenreihe zitieren? Nehmen wir zur Veranschaulichung die erste Nummer
der neugestarteten Serie „Batman“ aus dem Jahr 2011[1].
Gezeichnet wurde diese Ausgabe von Greg Capullo, getuscht von Jonathan Glapion,
die Farbgebung stammt ebenfalls von Capullo, gemeinsam mit dem Studio FCO
Plascencia.
Klar
ist: Ohne einen der genannten sähe jedes einzelne Comicpanel nicht so aus, wie
es das im fertigen Endprodukt tut. Die Frage ist aber, wem die Autorenschaft der
Bilder zufällt. Ohne Greg Capullos Zeichnungen hätte der Inker nichts zu inken,
der Kolorist nichts anzumalen etc. Auch Dinge wie die Layout der Seite,
Anordnung, Storytelling, Pacing und so weiter und so fort gehen in erster Linie
auf Capullo zurück. Daher denke ich, dass er auf jeden Fall in unserem Beispiel
in den Autorencorpus gehört.
Dorthinein
gehört natürlich unzweifelhaft auch der Autor (hier: Scott Snyder) selbst, da
Comics nun einmal von der Verquickung von Sprache und Bild leben[2].
Je nach Arbeitsweise eines Autoren-Zeichner-Gespanns ist die Aufgabe des Einen
ohnehin nicht von der des Anderen zu trennen[3].
In einer kompletten Bibliographie müssten also der Comicautor und der –zeichner
genannt werden. Beim Tuscher wird diese Fragestellung schon problematischer. Er
macht das Comicpanel nicht nur druckfähig, sondern wirkt auch als Korrektiv für
die Bleistiftzeichnungen des Zeichners. Strenggenommen ist er also am kreativen
Schaffungsprozess des Comics beteiligt und müsste daher auch in der
Autorenschaft erwähnt werden. Die Frage ist nur, inwiefern der Inker
wesentlicher Bestandteil des Comics ist. Manche Comics werden im digitalen
Zeitalter schon nicht mehr geinkt, manche erscheinen als sog. „Artist’s
Edition“ ohne Tusche usw. Sprich: Der Inker ist wichtig für das fertige
Endprodukt, aber für die künstlerische Aussage eines Comicheftes nicht
determinierend. Insofern geht es meiner Ansicht nach in Ordnung, ihn in der
Fußnoten und Bibliografie außen vorzulassen. Davon ab sollten „Autor/Zeichner,
Titel, (Verlag) Ort Jahr“ auch präzise genug sein, als dass man den
referenzierten Titel zweifelsfrei ausfindig machen kann.
2. Problem: Autorenschaft und Bibliografie einzelner Panels und
Titelblätter
Ein
Unter-Problem dieser besprochenen Thematik ist die Frage nach der Zitierweise,
wenn man nur ein einzelnes Panel etwa zu Anschauungszwecken herausnimmt, so wie
es auch in diesem Blog schon gemacht wurde. In der Vergangenheit habe ich –
noch ohne mir diese Gedanken gemacht zu haben – nur den Zeichner des Bildes
erwähnt. Inzwischen halte ich diese Vorgehensweise aber für falsch.
Klar
ist, dass die Zeichnungen das sind, was dem Betrachter bei einem Einzelpanel
sofort ins Auge springt. Daher neigt er (und in dem Fall: ich) vielleicht
intuitiv dazu, nur den Zeichner als Urheber zu benennen. Tatsächlich ist das im
Rahmen des Geschilderten aber nicht mehr haltbar. Das Panel ist in der Regel
herausgerissen aus seinem sequentiellen Zusammenhang, wäre aber ohne diesen
Zusammenhang gar nicht erst entstanden. Daher muss man auch dem Autor die
Urheberschaft am Einzelpanel zusprechen[4].
Wie
aber verhält sich das mit den Titelbildern? In der Regel sind diese nicht in
die sequentielle Erzählung eingebunden[5]
und lassen dem Zeichner daher freiere Hand als Zeichnungen zwischen den
Deckeln. Im Bereich der seriellen Comicproduktion ist es auch nicht unüblich,
dass das Cover von einem anderen Künstler stammt als der Heftinhalt. Manche
Cover aus dieser genannten Industrie haben einerseits so gut wie nichts mit dem
Inhalt zu tun und sind nicht mehr als Pin-Ups bspw. des titelgebenden Helden.
Andererseits gibt es eben aber auch die bereits erwähnte enge Verknüpfung aus
Cover und sequentieller Erzählung.
Aus
diesem Grunde ist die Frage, ob man bei einem Cover auch den Autor bibliografieren
sollte nicht pauschal zu beantworten. Im Falle etwa von „Watchmen“ plädiere ich
für ein deutliches „Ja“. Bei den erwähnten Pin-Up-Covern anderer Zeichner ohne
Bezug zum Geschehen (so man dieses überhaupt referenzieren möchte…) tendiere
ich eher zum „Nein“. Im Endeffekt sollte hier der gesunde Menschenverstand das
ausschlaggebende Kriterium sein. Um aber die Einheitlichkeit der Zitierweise
nicht zu unterlaufen, deren Wichtigkeit in wissenschaftlichen Publikationen
nicht zu unterschätzen ist, würde ich dennoch in jedem Fall zur Nennung von
Autor und Zeichner tendieren und werde dies auch zukünftig so handhaben.
3. Problem: Seitenzahl
Diese
Feststellung ist banal und gilt auch in anderen Bereichen als nur der
Comicforschung: Die Seitenzahl der Handlung ist nicht zwingend identisch mit
der Seitenzahl der Edition. In einem einzelnen Comicheft finden sich neben der
reinen Comichandlung auch redaktionelle Seiten, Werbung und dergleichen mehr,
die entweder in die Zählweise der Seiten reingehören oder nicht. Auch bei
mehreren Heften in Sammelbänden mag es Redaktionsseiten oder abgedruckte Cover
geben, die die Publikationsseitenzahl gegenüber der Handlungsseitenzahl
erhöhen.
Da
nicht jedes Comicheft und nicht jeder Sammelband nummerierte Seitenzahlen
haben, kommt man um das manuelle Zählen der Seiten oftmals nicht herum.
Die
Frage ist nun, sollte man alle Seiten des Bandes zählen, also auch die Werbung
und dergleichen, oder nur die Comicseiten an sich?
Die
Antwort ist recht einfach: Wenn man eine Seitenzahl angibt, geht der Leser der
eigenen Publikation erst einmal davon aus, dass er die ganzen Seiten zählen soll
und wird beim nachzählen nicht auf die Idee kommen, Werbung und andere
„überflüssige“ Seiten abzuziehen. Um dieser intuitiven Herangehensweise nicht
zuwider zu laufen, sind alle Seiten bei der Zählung zu berücksichtigen. Wer es
anders machen möchte, sollte zumindest auf diese geänderte Zählweise hinweisen.
Bei Comicheften, die von Haus aus nummeriert sind, erübrigt sich dieses Problem
freilich.
4. Problem: Was zitieren?
In
seiner lesenswerten Doktorarbeit „Die Darstellung der Technik im Comic“[6]
hat Wolfgang Höhne darauf hingewiesen, dass es wenig sinnvoll ist, den reinen
Textteil eines Comics zu zitieren[7].
Das mag nicht immer stimmen. Es mag Gelegenheiten geben, wo es nicht nur
hinreichend ist, sondern auch sinnvoll, nur den Text zu zitieren. Wenn ich
beispielsweise auf die abweichende Sprechweise des Piraten Baba aus den „Asterix“-Bänden
eingehen will oder erörtern möchte, ob der Dämon Etrigan im Knittelvers reimt
oder nicht, dann reicht es, wörtlich zu zitieren – das Bild ist dabei höchstens
im Einzelfall relevant.
Allerdings
ist es in den allermeisten Fällen sinnvoll, die Symbiose aus Text und Bild, die
ein Comic nun mal wesentlich prägt, für das Zitat nicht aufzuheben. Zitieren in
Arbeiten über Comics ist daher in den meisten Fällen mit dem Einbinden von
gescannten Comicseiten oder Panels aus anderen Quellen fest verbunden und auch
sinnvoll. Das führt dann zwar dazu, dass man ein umfangreiches Abbildungsverzeichnis
als Appendix anfügen muss, aber dafür ist es wissenschaftlich akkurater. Allerdings
muss für eine spätere Veröffentlichung auch angemerkt sein, dass dadurch die
Seitenzahl (und somit auch die Druckkosten) erheblich steigen können. Zudem müssen
ggf. Urheberrechtsfragen beantwortet werden.
In
massentaugliche Publikationen finden sich aus diesen Gründen eher weniger
Grafiken – und wenn, dann eher zur Veranschaulichung eines Phänomens, nicht zum
Zwecke des Zitats. Man behilft sich hier damit, das Panel möglichst detailliert
und plastisch zu beschreiben und den reinen Text zu zitieren. Das ist eine
funktionale Behelfslösung, auch wenn das Bildzitat dem gegenüber vorzuziehen
ist.
Fazit
Die
Comicforschung hat die Wissenschaft vor neue Probleme gestellt, ein neuer
kanonischer Apparat aus Forschungswerkzeugen muss trotz des Alters dieses
Mediums und dieses Forschungsgebietes erst noch entstehen. Ich habe in diesem
Blog-Beitrag versucht, einige (nicht alle) äußerlichen Probleme der
Comicforschung zu eruieren und Lösungsvorschläge zu machen. Ob dies dem
einzelnen Leser einleuchtend erscheint oder nicht, ist letztlich eine
individuelle Frage. Wichtiger als meinem Lösungsvorschlag zu folgen ist
ohnehin, die Einheitlichkeit innerhalb des eigenen Werkes zu wahren und den
gesunden Menschenverstand walten zu lassen.
Literaturverzeichnis
·
Andreas
Platthaus, Fumetti – Der Comic schwebt zwischen den Extremen
in: Kaspar Maase (Hg.), Die Schönheiten des Populären, Frankfurt 2008, 133-156.
·
Wolfgang
Höhne, Die Darstellung der Technik im
Comic, Karlsruhe 2002. Einzusehen unter http://www.ubka.uni-karlsruhe.de/volltexte/2003/geist-soz/1/home.html
(5.7.2012, 11:50)
·
McCloud, Scott, Understanding
Comics, New York 2000.
Artikel downloaden:
[1]
http://www.dccomics.com/comics/batman-2011/batman-1
[2] Die Sprache ist zwar kein definierendes
Merkmal eines Comics, aber die Handlung, die hinter einer Bildersequenz steckt,
sehr wohl. Auf diese Fragetsellung werde ich in einem späteren Blogpost genauer
eingehen. Zur Vertiefung: Scott McCloud, Understanding
Comics, 9f.
[3] Als signifikantestes Beispiel seien hier
nur das frz. Comicduo Dupuy & Berberian zu nennen, bei deren Arbeitsweise
sich Zeichner und Autor nicht mehr unterscheiden lassen, vgl. Platthaus, Fumetti, 145.
[4] Wir
reden hier immer noch von einem Autoren-/Zeichernduo mit trennbaren Aufgaben,
bei polyvalenten Gespannen erübrigt sich diese Diskussion ohnehin.
[5] Es gibt Ausnahmen, wie etwa Alan Moores und
Dave Gibbons’ „Watchmen“.
[7] vgl. http://www.ubka.uni-karlsruhe.de/volltexte/2003/geist-soz/1/html-1/1-einleitung/fr-i-02.html
Version I: 05-07-2012, 13:41
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