Donnerstag, 5. Juli 2012

Probleme der Comicforschung I: Wissenschaftliche Werkzeuge

Probleme der Comicforschung I: Wissenschaftliche Werkzeuge
von Denis Hundhausen

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Einleitung

Will man sich wissenschaftlich mit Comics befassen, so muss man natürlich auch das wissenschaftliche Handwerkszeug auf diese Disziplin anwenden. Auch bei der Besprechung von einem oder Referenz auf ein Comic müssen basale Dinge wie Fußnoten, Quellenangabe und dergleichen mehr angegeben werden.
Allerdings merkt man, wenn man sich etwas in die Materie vertieft, dass dieses Handwerkszeug eben in Bezug auf klassische Bücher entstanden ist (egal ob Monographien, Lexika oder dergleichen mehr). Daher muss man, will man diesen modus operandi auf die Comicforschung anwenden, sich im Klaren sein, dass er in Grenzbereichen des Comics nur unzureichend funktionieren kann. 
Im Folgenden möchte ich einige der Probleme schildern und Lösungen vorschlagen.



1. Problem: Autorenschaft und Bibliografie serieller Comichefte

Die Frage nach der Auotrenschaft ist differenziert zu betrachten. In manchen Comics ist sie einfach zu beantworten, da sie monographischer Natur sind: „Blankets“ ist von Craig Thompson, „Maus“ von Art Spiegelman usw. Diese Comics können nach dem altbekannten Muster zitiert werden, bspw.:
Vorname Nachmame, Titel, (Ausgabe, Verlag) Ort Jahr.
Wie würde man nun aber beispielsweise ein beliebiges Heft aus einer Superheldenreihe zitieren? Nehmen wir zur Veranschaulichung die erste Nummer der neugestarteten Serie „Batman“ aus dem Jahr 2011[1]. Gezeichnet wurde diese Ausgabe von Greg Capullo, getuscht von Jonathan Glapion, die Farbgebung stammt ebenfalls von Capullo, gemeinsam mit dem Studio FCO Plascencia.
Klar ist: Ohne einen der genannten sähe jedes einzelne Comicpanel nicht so aus, wie es das im fertigen Endprodukt tut. Die Frage ist aber, wem die Autorenschaft der Bilder zufällt. Ohne Greg Capullos Zeichnungen hätte der Inker nichts zu inken, der Kolorist nichts anzumalen etc. Auch Dinge wie die Layout der Seite, Anordnung, Storytelling, Pacing und so weiter und so fort gehen in erster Linie auf Capullo zurück. Daher denke ich, dass er auf jeden Fall in unserem Beispiel in den Autorencorpus gehört.
Dorthinein gehört natürlich unzweifelhaft auch der Autor (hier: Scott Snyder) selbst, da Comics nun einmal von der Verquickung von Sprache und Bild leben[2]. Je nach Arbeitsweise eines Autoren-Zeichner-Gespanns ist die Aufgabe des Einen ohnehin nicht von der des Anderen zu trennen[3]. In einer kompletten Bibliographie müssten also der Comicautor und der –zeichner genannt werden. Beim Tuscher wird diese Fragestellung schon problematischer. Er macht das Comicpanel nicht nur druckfähig, sondern wirkt auch als Korrektiv für die Bleistiftzeichnungen des Zeichners. Strenggenommen ist er also am kreativen Schaffungsprozess des Comics beteiligt und müsste daher auch in der Autorenschaft erwähnt werden. Die Frage ist nur, inwiefern der Inker wesentlicher Bestandteil des Comics ist. Manche Comics werden im digitalen Zeitalter schon nicht mehr geinkt, manche erscheinen als sog. „Artist’s Edition“ ohne Tusche usw. Sprich: Der Inker ist wichtig für das fertige Endprodukt, aber für die künstlerische Aussage eines Comicheftes nicht determinierend. Insofern geht es meiner Ansicht nach in Ordnung, ihn in der Fußnoten und Bibliografie außen vorzulassen. Davon ab sollten „Autor/Zeichner, Titel, (Verlag) Ort Jahr“ auch präzise genug sein, als dass man den referenzierten Titel zweifelsfrei ausfindig machen kann.

2. Problem: Autorenschaft und Bibliografie einzelner Panels und Titelblätter

Ein Unter-Problem dieser besprochenen Thematik ist die Frage nach der Zitierweise, wenn man nur ein einzelnes Panel etwa zu Anschauungszwecken herausnimmt, so wie es auch in diesem Blog schon gemacht wurde. In der Vergangenheit habe ich – noch ohne mir diese Gedanken gemacht zu haben – nur den Zeichner des Bildes erwähnt. Inzwischen halte ich diese Vorgehensweise aber für falsch.
Klar ist, dass die Zeichnungen das sind, was dem Betrachter bei einem Einzelpanel sofort ins Auge springt. Daher neigt er (und in dem Fall: ich) vielleicht intuitiv dazu, nur den Zeichner als Urheber zu benennen. Tatsächlich ist das im Rahmen des Geschilderten aber nicht mehr haltbar. Das Panel ist in der Regel herausgerissen aus seinem sequentiellen Zusammenhang, wäre aber ohne diesen Zusammenhang gar nicht erst entstanden. Daher muss man auch dem Autor die Urheberschaft am Einzelpanel zusprechen[4].
Wie aber verhält sich das mit den Titelbildern? In der Regel sind diese nicht in die sequentielle Erzählung eingebunden[5] und lassen dem Zeichner daher freiere Hand als Zeichnungen zwischen den Deckeln. Im Bereich der seriellen Comicproduktion ist es auch nicht unüblich, dass das Cover von einem anderen Künstler stammt als der Heftinhalt. Manche Cover aus dieser genannten Industrie haben einerseits so gut wie nichts mit dem Inhalt zu tun und sind nicht mehr als Pin-Ups bspw. des titelgebenden Helden. Andererseits gibt es eben aber auch die bereits erwähnte enge Verknüpfung aus Cover und sequentieller Erzählung.
Aus diesem Grunde ist die Frage, ob man bei einem Cover auch den Autor bibliografieren sollte nicht pauschal zu beantworten. Im Falle etwa von „Watchmen“ plädiere ich für ein deutliches „Ja“. Bei den erwähnten Pin-Up-Covern anderer Zeichner ohne Bezug zum Geschehen (so man dieses überhaupt referenzieren möchte…) tendiere ich eher zum „Nein“. Im Endeffekt sollte hier der gesunde Menschenverstand das ausschlaggebende Kriterium sein. Um aber die Einheitlichkeit der Zitierweise nicht zu unterlaufen, deren Wichtigkeit in wissenschaftlichen Publikationen nicht zu unterschätzen ist, würde ich dennoch in jedem Fall zur Nennung von Autor und Zeichner tendieren und werde dies auch zukünftig so handhaben.
3. Problem: Seitenzahl

Diese Feststellung ist banal und gilt auch in anderen Bereichen als nur der Comicforschung: Die Seitenzahl der Handlung ist nicht zwingend identisch mit der Seitenzahl der Edition. In einem einzelnen Comicheft finden sich neben der reinen Comichandlung auch redaktionelle Seiten, Werbung und dergleichen mehr, die entweder in die Zählweise der Seiten reingehören oder nicht. Auch bei mehreren Heften in Sammelbänden mag es Redaktionsseiten oder abgedruckte Cover geben, die die Publikationsseitenzahl gegenüber der Handlungsseitenzahl erhöhen.
Da nicht jedes Comicheft und nicht jeder Sammelband nummerierte Seitenzahlen haben, kommt man um das manuelle Zählen der Seiten oftmals nicht herum.
Die Frage ist nun, sollte man alle Seiten des Bandes zählen, also auch die Werbung und dergleichen, oder nur die Comicseiten an sich?
Die Antwort ist recht einfach: Wenn man eine Seitenzahl angibt, geht der Leser der eigenen Publikation erst einmal davon aus, dass er die ganzen Seiten zählen soll und wird beim nachzählen nicht auf die Idee kommen, Werbung und andere „überflüssige“ Seiten abzuziehen. Um dieser intuitiven Herangehensweise nicht zuwider zu laufen, sind alle Seiten bei der Zählung zu berücksichtigen. Wer es anders machen möchte, sollte zumindest auf diese geänderte Zählweise hinweisen. Bei Comicheften, die von Haus aus nummeriert sind, erübrigt sich dieses Problem freilich.

4. Problem: Was zitieren?

In seiner lesenswerten Doktorarbeit „Die Darstellung der Technik im Comic“[6] hat Wolfgang Höhne darauf hingewiesen, dass es wenig sinnvoll ist, den reinen Textteil eines Comics zu zitieren[7]. Das mag nicht immer stimmen. Es mag Gelegenheiten geben, wo es nicht nur hinreichend ist, sondern auch sinnvoll, nur den Text zu zitieren. Wenn ich beispielsweise auf die abweichende Sprechweise des Piraten Baba aus den „Asterix“-Bänden eingehen will oder erörtern möchte, ob der Dämon Etrigan im Knittelvers reimt oder nicht, dann reicht es, wörtlich zu zitieren – das Bild ist dabei höchstens im Einzelfall relevant.
Allerdings ist es in den allermeisten Fällen sinnvoll, die Symbiose aus Text und Bild, die ein Comic nun mal wesentlich prägt, für das Zitat nicht aufzuheben. Zitieren in Arbeiten über Comics ist daher in den meisten Fällen mit dem Einbinden von gescannten Comicseiten oder Panels aus anderen Quellen fest verbunden und auch sinnvoll. Das führt dann zwar dazu, dass man ein umfangreiches Abbildungsverzeichnis als Appendix anfügen muss, aber dafür ist es wissenschaftlich akkurater. Allerdings muss für eine spätere Veröffentlichung auch angemerkt sein, dass dadurch die Seitenzahl (und somit auch die Druckkosten) erheblich steigen können. Zudem müssen ggf. Urheberrechtsfragen beantwortet werden.
In massentaugliche Publikationen finden sich aus diesen Gründen eher weniger Grafiken – und wenn, dann eher zur Veranschaulichung eines Phänomens, nicht zum Zwecke des Zitats. Man behilft sich hier damit, das Panel möglichst detailliert und plastisch zu beschreiben und den reinen Text zu zitieren. Das ist eine funktionale Behelfslösung, auch wenn das Bildzitat dem gegenüber vorzuziehen ist.

Fazit

Die Comicforschung hat die Wissenschaft vor neue Probleme gestellt, ein neuer kanonischer Apparat aus Forschungswerkzeugen muss trotz des Alters dieses Mediums und dieses Forschungsgebietes erst noch entstehen. Ich habe in diesem Blog-Beitrag versucht, einige (nicht alle) äußerlichen Probleme der Comicforschung zu eruieren und Lösungsvorschläge zu machen. Ob dies dem einzelnen Leser einleuchtend erscheint oder nicht, ist letztlich eine individuelle Frage. Wichtiger als meinem Lösungsvorschlag zu folgen ist ohnehin, die Einheitlichkeit innerhalb des eigenen Werkes zu wahren und den gesunden Menschenverstand walten zu lassen.




Literaturverzeichnis

·        Andreas Platthaus, FumettiDer Comic schwebt zwischen den Extremen in: Kaspar Maase (Hg.), Die Schönheiten des Populären, Frankfurt 2008, 133-156.
·        http://www.dccomics.com/comics/batman-2011/batman-1 (5.7.2012, 11:50)
·        Wolfgang Höhne, Die Darstellung der Technik im Comic, Karlsruhe 2002. Einzusehen unter http://www.ubka.uni-karlsruhe.de/volltexte/2003/geist-soz/1/home.html (5.7.2012, 11:50)
·        McCloud, Scott, Understanding Comics, New York 2000.





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[1] http://www.dccomics.com/comics/batman-2011/batman-1
[2] Die Sprache ist zwar kein definierendes Merkmal eines Comics, aber die Handlung, die hinter einer Bildersequenz steckt, sehr wohl. Auf diese Fragetsellung werde ich in einem späteren Blogpost genauer eingehen. Zur Vertiefung: Scott McCloud, Understanding Comics, 9f.
[3] Als signifikantestes Beispiel seien hier nur das frz. Comicduo Dupuy & Berberian zu nennen, bei deren Arbeitsweise sich Zeichner und Autor nicht mehr unterscheiden lassen, vgl. Platthaus, Fumetti, 145.
[4]  Wir reden hier immer noch von einem Autoren-/Zeichernduo mit trennbaren Aufgaben, bei polyvalenten Gespannen erübrigt sich diese Diskussion ohnehin.
[5] Es gibt Ausnahmen, wie etwa Alan Moores und Dave Gibbons’ „Watchmen“.

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